Ausgabe vom 19. April 2004

Der letzte Vertreter der alten Garde

Jakob Alder: 23. Mai 1915 - 6. April 2004

Herisau. Am Dienstagnachmittag nahmen zahlreiche Angehörige und Musikanten beider Appenzell Abschied von Jakob Alder, einer der wichtigsten Persönlichkeiten auf dem Gebiet der traditi-onellen Appenzeller Musik. Als Komponist und Hackbrettlehrer hat er bleibende Spuren hinterlassen.

Hans Hürlemann

Wenn von Appenzeller Streichmusik die Rede ist, dann kennen die meisten Leute vor allem einen Namen, und der heisst «Alder». Johannes Alder, der Grossvater des verstorbenen Jakob Alder, hat zusammen mit seinem Bruder Ulrich seinerzeit 1884 die Streichmusik Alder in Urnäsch gegründet, sein Vater Johannes war vierzig Jahre lang Sekundgeiger in der Familienformation, und «Alders Jock» selber gehörte von 1934 bis 1947 dazu.

Versierter Musiker

Interne Meinungsverschiedenheiten - es ging um einen dummen Streit um einen Eintrag im Telefonbuch - führte zum Austritt aus der Streichmusik Alder. Von da an gehörte Alders Jock zu den profiliertesten Musikanten in verschiedenen Streichmusik-Formationen in Inner- und Ausserrhoden, etwa bei «Franzsepp Inauen», beim berühmten «Edelweiss Trogen», oder beim «Alperösli Walzenhausen», später bei der «Streichmusik Bänziger» und bis am Schluss bei der «Streichmusik Edelweiss Herisau». Auch kleinere Kapellen rissen sich um den versierten Musiker, etwa die «Warthbuebe», «Alpstein Appenzell», «Alpegruess Brülisau» und andere. Alders Jock konnte eben vielfältig eingesetzt werden, denn schon als Erstklässler hatte er bei seinem Vater geigen gelernt, und später kamen noch das Klavier, das Cello, das Hackbrett und schliesslich sogar noch die Handorgel dazu. In der Harmoniemusik Hundwil lernte er verschiedene Blechblasinstrumente spielen. Für seine spätere Tätigkeit als Komponist und Hackbrettlehrer wurde aber seine Ausbildung zum Blasmusikdirigenten besonders wichtig, weil er da ein solides musiktheoretisches Fundament erhielt, das ihm unschätzbare Dienste erwiesen hat, vor allem in seinem kompositorischen Wirken.

Reicher Erfahrungsschatz

Diese Lehr- und Wanderjahre sind für Jakob Alder ausserordentlich wichtig geworden, denn auf diese Weise lernte er vor allem von den alten Vorbildern eine unglaubliche Fülle von Tänzen beider Appenzell kennen, die er dank seinem phänomenalen Musikgedächtnis behalten und auch viele Jahre später zuverlässig aufschreiben konnte. Zu dem Zweck verfeinerte er eine stenografische Notenkurzschrift für seine Bedürfnisse. Ein Namensvetter, ein Cousin seines Vaters, den man nach seinem Wohnort in Urnäsch «Widebach Jock» nannte, hatte sie ursprünglich erfunden. So konnte Jakob Alder ohne Notenpapier eine eben gehörte Melodie rasch und genau notieren und später dann in die gewohnte Notenschrift übertragen.

Zahlreiche Kompositionen

Als junger Bursche half er zuhause in Hundwil auf der Grundhalde in der Landwirtschaft und war auch Knecht an verschiedenen Plätzen. Zudem lernte er weben am Handwebstuhl, der im Keller des Elternhauses stand. Die Begeisterung für die Textilindustrie hielt sich in ziemlich engen Grenzen. Er notierte lieber - möglicherweise angeregt durch den Rhythmus des Webens - Märsche und Tänze, die ihm bei der ungeliebten Arbeit durch den Kopf gingen. Im Verlauf seines langen Lebens entstanden so weit über 150 eigene Werke, von denen ein grosser Teil zum Standardrepertoire der Appenzeller Musikanten gehören. Schon bald übernahm er die Vertretung für eine Ostschweizer Weinhandlung, widmete sich aber dank der damit gewonnenen Freiheit fast ganz der Musik und gab vielen Schülern Hackbrettstunden. Genau da liegt wohl eine der nachhaltigsten Wirkungen seines musikalischen Tuns, denn seine ausgesprochen gehörfälligen Walzer, Polkas, Schottisch und Märsche gehören zum Standardrepertoire fast aller Hackbrettler, und sein Stil hat auch andere zu ähnlichen Kompositionen angeregt. Im Verlaufe der Jahre ist Alders Jock zu einer der wichtigsten Autoritäten in Bezug auf die traditionelle Appenzeller Volksmusik geworden. Viele, die sich ernsthaft mit den musikalischen Traditionen des Appenzellerlandes auseinandersetzen, haben viel von seinen wertvollen Informationen und praktischen Hinweisen profitiert. Jakob Alder war aber kein Säusler und nicht immer besonders pflegeleicht, denn manchmal wurde er ziemlich grantig, wenn ihm etwas nicht passte. Bei Proben konnte er hartnäckig und mit Nachdruck auf einem Detail eines heiklen harmonischen Übergangs herumhacken, bis er so war, wie er sich das vorgestellt hatte - und es kümmerte ihn wenig, wenn er den anderen Musikanten damit auf die Nerven ging. Die Sache selbst, eben die Streichmusik, wie er sie von seinen Vorbildern in Erinnerung hatte, stand ihm immer zuvorderst, und von Experimenten hielt er gar nichts.

Zuverlässigkeit in Person

Ein Detail noch zum Schluss: Es gibt Musikanten, die es fertigbringen, auch bei wichtigen Auftritten immer erst in letzter Sekunde zu erscheinen. Das passierte Alders Jock mit Sicherheit nicht. Lieber war er viel zu früh am Spielort und nahm es in Kauf, dass man die Zeit bis zum Konzertbeginn noch in einer Beiz mit einem Kaffee oder einem Halbliter überbrücken musste. Die gleiche Zuverlässigkeit zeichnete ihn aus beim Spielen selbst, denn dabei war er stets ganz bei der Sache, und liess sich durch gar nichts ablenken. Vielleicht wirkte er dann für den Betrachter in sich gekehrt und fast abweisend, denn ein Blender war er gewiss nicht, und grosse Reden zu schwingen war seine Sache nicht. Dieses bescheidene Zurücktreten hinter die Sache, die ihm am meisten am Herzen lag - die Appenzeller Musik - zeichnete ihn ganz besonders aus. Am letzten Dienstag ist mit ihm einer der letzten Vertreter der alten Garde von Appenzeller Musikern zu Grabe getragen worden. Seine Musik wird bleiben.